Ein Licht für den Frieden in der Ukraine und weltweit

Nach einem ökumenischen Friedensgebet am Samstag im  Gladbacher Münster wurden Friedenskerzen an die beteiligten Gemeinden weitergegeben.

Zu Beginn des ökumenischen Friedensgebets im Gladbacher Münster entzündete Pfarrer Andreas Rudolph von der evangelischen Christuskirchengemeinde die große Friedenskerze, die die ukrainischen Farben blau und gelb trug. Am Schluss des Gottesdienstes erhielten alle beteiligten evangelischen und katholischen Gemeinden solche Kerzen, die nun in Kirchen und Gemeindezentren als Zeichen der Verbundenheit mit den Menschen in der Ukraine brennen sollen.

In den von Gabi Brülls von der Christlichen Gemeinschaft St. Egidio formulierten Fürbitten wurde um Frieden in unserem europäischen Nachbarland gebeten, das Opfer eines Angriffskriegs ist. Aber der Konflikte auf anderen Kontinenten wurde fürbittend gedacht: in Afghanistan und Irak, Libyen und Jemen, im Heiligen Land und im Libanon, in Äthiopien und Nigeria.

Die Predigt in dem von Propst Peter Blättler geleiteten Friedensgebet hielt Superintendent Dietrich Denker. Er griff die zuvor verlesene Versöhnungslitanei von Coventry auf:

„Vater vergib!
Die Versöhnungslitanei von Coventry gehört zum wöchentlichen Friedensgebet in unserer Rheydter Hauptkirche. Sie beginnt mit einem Bibelvers:
Seid untereinander freundlich, herzlich
und vergebt einer dem anderen,
wie Gott euch vergeben hat in Christus. (Eph 4, 32)
Im Zentrum des Gebetes steht die Bitte um Vergebung und nicht die Bitte um Frieden.
Nach der Zerstörung der Kathedrale von Coventry (Grossbritannien) am 14./15.November 1940 durch deutsche Bombenangriffe ließ der damalige Dompropst Richard Howard die Worte „father forgive“ (Vater vergib!) in die Chorwand der Ruine meißeln. Diese zwei Worte „father forgive“ haben ihren Sitz im Leben mitten im 2. Weltkrieg.
Die Litanei mit dem Versöhnungsgebet selbst stammt aus der Zeit, in der die Waffen bereits 13 Jahre schwiegen. Es wurde 1958 formuliert. Die Worte „Vater vergib“ bestimmen das Friedensgebet von Coventry. Seit 1958 wird es an jedem Freitagmittag um 12 Uhr im Chorraum der Ruine der alten Kathedrale in Coventry und in vielen Nagelkreuzzentren in der ganzen Welt, so auch in unserer Hauptkirche, regelmäßig, wöchentlich gebetet. In diesem Gebet geht es um alles Unrecht, das Menschen einander antun können, angetan haben und immer wieder antun. Und um die Bitte um Vergebung.
Damit haben wir eine Text vor uns, der die Versöhnungsarbeit mehr noch als die Bitte um den Frieden zum Thema hat. 1958, 13 Jahre nachdem die Waffen schwiegen wird klar:
Friedensarbeit muss immer auch Versöhnungsarbeit sein.

In der Ukraine schweigen die Waffen nicht. In Zeiten des Krieges ist das oberste Ziel, dass die Waffen schweigen, dass die Angriffe enden. Schluss soll sein mit dem Töten und Getötet- werden, Schluss soll sein mit der Angst, der Trauer und dem Weinen. Das Entsetzen in den Gesichtern der Vertriebenen und Flüchtenden und ihre Not,- das alles soll ein Ende finden. Versöhnung kommt hoffentlich dann später. Und so beten wir für den Frieden! Und: Wir beten ja nicht nur für den Frieden. Wir kämpfen auch für ihn.
Mit Waffenlieferungen an die Ukraine mit Boykott und Sanktionen, deren Folgen auch uns treffen, verfolgen wir das Ziel zu einem Kräfteausgleich zu kommen, der dem Agressor zeigt: Du hast dich verzockt, Putin! Halt ein oder du wirst selbst vernichtet werden. Wenn die militärischen Kräfteverhältnisse einigermaßen ausgeglichen sind – so hofft man – könnten ernsthaft Verhandlungen geführt werden. Wenn jeder weiß, dass er den anderen nicht besiegen kann, dann ist Raum da um bei schweigenden Waffen die Interessenverhältnisse zu klären und zu einem stabilen Interessenausgleich zu kommen.
Gelingt das nicht, wird so lange Krieg geführt, bis es einen Gewinner und einen Verlierer gibt. Solange dreht sich die Gewaltspirale immer schneller. Und dann „verhandelt“ nur noch die Siegermacht. Mit der Freiheit und dem Selbstbestimmungsrecht eines Volkes oder einer Nation oder auch des einzelnen Menschen ist es – wenn der Falsche obsiegt – nicht mehr weit her. Vielen bleibt dann nur die Flucht. Friedensarbeit geschieht dann doch – so schwer es für uns zu begreifen ist, mit Waffen und Gewaltanwendung gegen den Aggressor. Deshalb sprechen in der Ukraine heute noch die Waffen.
Wir beten für den Frieden und streiten für ihn: Wir helfen Flüchtenden, liefern Waffen, sanktionieren und boykottieren!
Es sind viele Mächte und Gewalten am Werk. Wer sich unter Einsatz seines Lebens einer russischen Militärmaschinerie in die Speichen wirft und mit der Panzerfaust den anrollenden Panzer vernichtet, trifft mit großer Wahrscheinlichkeit auch den jungen russischen Wehrpflichtigen, der am liebsten im Rückwärtsgang nach Hause umkehren würde. Mit jedem Blutvergießen wächst der Hass der Gegner aufeinander. Und die Wut nimmt zu.
Wenn wir doch wenigstens dazu kämen, mit dem alttestamentlichen Gesetz aus der jüdischen Rechtsordnung, „Auge um Auge und Zahn um Zahn“ (gleich im Anschluss an die 10 Gebote finden wir diese Zitat im 2.Buch Mose / Exodus 21,24) der Gewaltspirale ein Ende zu setzen. Dann würde auf der Klappleiter der Gewalt auf einer einmal von beiden Seiten erreichten Stufe Waffenstillstand herrschen. Man könnte auf Augenhöhe verhandeln und über Frieden reden. ABER DAS GELINGT NICHT. Vater vergib!?

Vater vergib! – Ein gründlicher Perspektivwechsel
Mit dem Gebetsruf „Vater vergib!“ verlassen wir den Fokus auf die Gewaltspirale und ändern die Perspektive: Die Worte „Father forgive“ holen Gott selbst und sein Urteil über uns Menschen hinein in unsere Zeit. Sie verändern unsere Sicht auf Krieg, Gewalt, Vertreibung und Tod. Wir hören auf, selbst Gott sein zu wollen und bekennen uns zu unserer Menschlichkeit. Wir demütigen uns vor unserem Gott.

Und mit diesem Perspektivwechsel gehen klare Bekenntnisse einher:
1. Hier geschieht großes Unrecht: Krieg, Bombenterror, Gewalt – das soll nach Gottes Willen nicht sein. Wo es doch geschieht, werden Menschen schuldig. Deshalb: Vater vergib!
2. Es muss ein Ende geben mit dem Hass auf den Feind und der Wut im Herzen. Gott selbst soll über den Feind urteilen. Vielleicht kann er vergeben. Wir schaffen das nicht. Deshalb: Vater vergib!
3. Wer meint, man könne beim Frieden schaffen oder Frieden erhalten, alles selbst im Griff haben und würde selbst bei einem „gerechten Krieg“ für Frieden und Freiheit nicht schuldig, irrt. Einem Volk in Not mögliche Hilfe verweigern oder Waffen liefern und kämpfen – in jedem Fall werden Menschen schuldig. – Deshalb: Vater vergib!
4. Das Leben von Freund und Feind steht in Gottes Hand. In Zeiten, in denen Menschen selbst auf Leben und Tod gegeneinander kämpfen, verbirgt sich Gott zur Unkenntlichkeit. Ach könnten wir Menschen doch in die Stille finden, ihn hören und innehalten in aller Kriegstreiberei! Deshalb: Vater vergib!

Wir sind hier tief im Westen der Bundesrepublik. Die Bomben fallen 1700 km Luftlinie (bis Kiew) von uns entfernt. (Es könnte Sevilla von der Entfernung her sein.) Und:
Auch bei uns wachsen Hass und Streit.
Das Miteinander von Russen und Ukrainern in unserem Land gerät aus den Fugen. Russisch sprechende Menschen werden belästigt, beschimpft, gemieden. Flüchtlinge – zurzeit vor allem nicht-ukrainische Flüchtlinge in unserem Land – müssen erfahren, dass Menschen in Europa ihnen signalisieren: Bleibt zuhause. Wir wollen Euch nicht. Ihr seid uns eine Last. Wir fühlen uns bedroht! So werden WIR schuldig an unseren Nächsten.
„Vater vergib!“ Das ist mein Gebet auch für uns, die wir hier in Mönchengladbach zusammenleben und für den Frieden streiten. Ich möchte nicht nur Mahner zum Frieden, sondern Friedensstifter sein.
Friedensarbeit fängt hier und heute an: Helfen wir einander, seien wir solidarisch mit den Menschen auf der Flucht und in großer Not. Falten wir die Hände für sie und für uns: Fürbittend, klagend und eben auch mit den Worten: Vater vergib!
AMEN“

  • 21.3.2022
  • Angela Rietdorf
  • Angela Rietdorf