„Ich wünsche mir mehr Solidarität für künftige Generationen“

Am 26. September 2021 ist Bundestagswahl. Im Fokus steht mit der Klimakrise ein Thema, das vor allem die junge Generation beschäftigt. Doch die fühlt sich mit ihren Anliegen von der Politik nicht gut vertreten, sagt Sebastian Schick, Schülersprecher der evangelischen Viktoriaschule Aachen. Die Bereitschaft junger Menschen, sich zu engagieren, sei groß, doch es fehle an Möglichkeiten mitzuentscheiden. Im Interview spricht er über Wahlen ab 16, politische Partizipation und die Rolle der Kirche in der Politik.

Sebastian Schick, die Bundestagswahl steht vor der Tür. Du bist 17 Jahre alt und darfst somit nicht wählen. Stört dich das?

Sebastian: Ja, das ist ein absolutes Unding. Ich engagiere mich auf verschiedene Weise politisch, ob auf der Straße oder als Schülersprecher. Ohnehin sehe ich gerade viele junge Menschen, die ein starkes Interesse an Politik haben und bereit sind, sich gesellschaftlich zu engagieren. Parallel dazu wird uns verboten, am essenziellsten Partizipationsrecht, dem Wahlrecht, teilzuhaben. In einer Gesellschaft, in der viele ältere Menschen leben, verstärkt das das Ungleichgewicht im demokratischen Entscheidungsprozess. Deshalb bin ich stark für eine Absenkung des Wahlalters, damit junge Menschen die Möglichkeit haben, ihre Stimme einzubringen.

Fühlst du dich und deine Generation denn politisch gut vertreten?

Sebastian: Das würde ich klar verneinen. Wir haben es im Moment mit vielen wichtigen Zukunftsentscheidungen zu tun. Ein Beispiel ist die Klimakrise, die vor allem uns junge Menschen betrifft. Aber ausgerechnet wir dürfen hier nicht mitentscheiden. Das halte ich für falsch. Deshalb finde ich es wichtig, dass junge Menschen dafür kämpfen, gehört zu werden.

Du selbst gehst dabei als gutes Beispiel voran. Du bist Schülersprecher deines Gymnasiums und Bezirksschülersprecher. Was motiviert dich dazu?

Sebastian: Ich bin überzeugt davon, dass Schülerinnen und Schüler, die viel Zeit an der Schule verbringen, eine Stimme brauchen. Es ist wichtig, ihre Perspektive auf verschiedenen Ebenen und in verschiedenen Ausschüssen einzubringen und dafür zu sorgen, dass ihre Interessen im Entscheidungsprozess Gehör finden. Dafür setze ich mich gerne ein. Und ich möchte zeigen: Es gibt junge Menschen, die sich einbringen möchten. Deshalb engagiere ich mich auch in der Fridays-for-Future-Ortsgruppe Aachen. Denn Klimagerechtigkeit ist für mich neben dem Umgang mit Migrantinnen und Migranten sowie der sozialen Ungleichheit eines der aktuell drängendsten Themen. Da sehe ich uns junge Menschen in der Pflicht.

Bist du der Meinung, dass politische Partizipation derzeit funktioniert?

Sebastian: Es gibt positive Beispiele. Aber in der Breite schaffen wir es vor allen Dingen nicht, alle miteinzubeziehen. Meistens dominieren privilegierte Menschen politische Bewegungen und auch Schülervertretungen. Das sind oft Jugendliche, die Zeit haben, sich nachmittags zu engagieren, weil sie nichts für die Familie erledigen müssen. Sie müssen nicht jobben gehen, um genug Geld zum Leben zu haben. Partizipation ist somit auch eine soziale Frage und für viele mit großen Hürden verbunden. Das gilt auch für Menschen, die seit vielen Jahren in Deutschland leben, aber aus verschiedenen Gründen keine deutsche Staatsbürgerschaft besitzen. Auch sie dürfen nicht wählen. Und dann wundern wir uns, warum sie sich nicht einbringen. Dabei können wir doch kein ehrenamtliches Engagement verlangen, wenn wir ihnen nicht einmal das Wahlrecht zusprechen, oder?

Wo stößt Partizipation junger Menschen noch an Grenzen?

Sebastian: An verschiedenen Stellen. Beispielsweise schaffen wir es zwar, den politischen Diskurs auf wichtige Themen wie die Klimakrise zu lenken. Andererseits hat keine der Parteien, die eine Chance auf den Einzug in den Bundestag haben, das 1,5-Grad-Ziel in ihrem Programm stehen. Wir gehen also seit mehr als zwei Jahren auf die Straße, aber keine der Parteien setzt sich für unsere Forderungen ein. Da fehlt der Jugend auf politischer Ebene die Durchschlagskraft, wie sie andere Bewegungen haben. Nehmen wir PEGIDA, die als Rechtsaußen-Bewegung Einfluss auf den politischen Ton und die Flüchtlingspolitik hatte. Da frage ich mich: Wie ist das möglich? Und wie kann es sein, dass unsere Forderungen, die auf wissenschaftlichen Erkenntnissen basieren, nicht gehört werden? Da wünsche ich mir mehr Solidarität gegenüber uns und den künftigen Generationen.

Sollte sich Kirche deiner Meinung nach in die Politik einmischen?

Sebastian: Das würde ich in zwei Arten von „Politisch sein“ aufteilen. Wenn es darum geht, sich gesellschaftspolitisch zu engagieren, sollte sich Kirche auf jeden Fall einbringen. Ein positives Beispiel finde ich hier das Bündnis zur Seenotrettung „United4Rescue“. Oder auch sozial-diakonische Angebote. In diesen Bereichen finde ich es wichtig, dass es eine Institution wie die Kirche gibt, die auch Staatsversagen aufdeckt und auffängt. Andererseits gibt es meiner Meinung nach noch Bedarf bei der Trennung zwischen Staat und Kirche. Mit Blick auf den Missbrauchsskandal in der katholischen Kirche sehe ich es kritisch, dass die Politik kneift und nicht richtig durchgreift. Dass die Kirche diese Fehler nicht konsequent aufarbeitet, ist auch ein Vorwurf vieler junger Menschen. Dabei sollte die Kirche das auch als Chance sehen. Wenn hier Zeichen gesetzt werden, wenn deutlich gemacht wird, dass man die Vergangenheit aufarbeitet, können vielleicht wieder mehr junge Menschen erreicht werden. Und man sieht an anderen Stellen ja, dass es geht. In beiden großen christlichen Kirchen hat es bereits Entwicklungen in die richtige Richtung gegeben – etwa beim Umgang mit verschiedenen sexuellen Orientierungen oder beim Einsatz für den Klimaschutz.

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  • 24.9.2021
  • Andreas Attinger
  • Sebastian Schick