KSV-Einführungsgottesdienst am 12. Januar 2022 in der Norfer Friedenskirche

  • Ralf Laubert
  • Ev. Kirchengemeinde am Norfbach

Anlässlich der Einführung der  Pfarrerinnen Susanne Schneiders-Kuban (Skriba), Dr. Meike Neumann (1.Stellvertr.) und Anne Mischnik (2. Stellvertr.), die von der Kreissynode neu in ihre Ämter im Kreissynodalvorstand gewählt worden waren,  hielt Assessor Pfarrer Ralf Laubert am 12. Januar 2022 in der Norfer Friedenskirche folgende Predigt:

„Gnade sei mit Euch und Friede von dem, der da ist und der da war und der da kommt.

Liebe Gemeinde,

wir leben in einer Zeit, in der viel von Spaltung die Rede ist. Häufig wird dieser Begriff schon benutzt, wenn es zu unterschiedlichen Meinungen in einer Frage kommt. Das ist sicher übertrieben. Tatsächlich aber sieht es so aus, als ob wir in der Gesellschaft  langsam, aber sicher die Fähigkeit verlieren, Meinungsunterschiede auf einer von gegenseitigem Respekt getragenen Basis auszutragen und auszuhalten.

Zugehörigkeit zu den Einen und Abgrenzung von den Anderen prägt die eigene Identität immer stärker. Die sozialen Medien, die große Empörungsmaschine wird allzu häufig dazu benutzt, Menschen mit anderer Meinung auszugrenzen und zu diffamieren. Da fühlt man sich stark. Das schafft Aufmerksamkeit und Likes in der eigenen Community. Da aber Aufmerksamkeit ein sich schnell abnutzendes Gut ist, werden die Diffamierungen immer radikaler und brutaler. Erst letzte Woche war zu hören, wie regelmäßig es zu Mordaufrufen auf Telegram kommt. Und als ob das nicht schlimm genug wäre, sind solche Aufrufe auch schon in die Tat umgesetzt worden.

Die größer werdenden Risse machen auch vor unseren Gemeinden nicht halt. Nicht so radikal wie im Netz. Aber manche Presbyterinnen und Presbyter hatten schon sehr unangenehme Begegnungen vor den Kirchentüren, wenn es darum ging, dem Impf- oder Teststatus der Gottesdienstbesucherinnen zu erfragen. Wir machen die Erfahrung, dass es ist nicht leicht ist, diesen Spaltungstendenzen entgegenzuwirken.

Solche Spaltungen sind aber auch nichts Neues. Schon der Apostel Paulus hat es in der Gemeinde in Korinth damit zu tun. Da hatten sich offenbar Lager gebildet, je nachdem welcher Apostel getauft hatte. Ich gehöre zu Paulus – so die einen. Ich gehöre zu Apollos – so die anderen. Ich gehöre zu Kephas – wieder andere. Die Zugehörigkeit zu den einen und die Abgrenzung von den anderen prägt die christliche Identität in Korinth. Auch heute kennen wir zwischen Dörfern und Stadtteilen strikte Grenzen, obwohl sie derselben Kirche, demselben Kirchenkreis, manchmal sogar derselben Gemeinde angehören.

Und Paulus hält dagegen, schaut nicht auf die Unterschiede, sondern auf die Grundlage, die alle eint: die eine Taufe auf den Namen Christi, das Wort vom Kreuz, Gottes Berufung in die Gemeinde entgegen allen weltlichen Geltungsmaßstäben.

In diesem Zusammenhang erinnert Paulus die Christinnen und Christen in Korinth an sein erstes Auftreten. Auch hier geht es um die einende Grundlage für alle, um das Zentrum christlichen Lebens und Glaubens.

Ich lese aus dem ersten Brief des Apostels an die Gemeinde in Korinth, Kapitel 2 die Verse  1-10

1 Auch ich, meine Brüder und Schwestern, als ich zu euch kam, kam ich nicht mit hohen Worten oder hoher Weisheit, euch das Geheimnis Gottes zu predigen. 2 Denn ich hielt es für richtig, unter euch nichts zu wissen als allein Jesus Christus, ihn, den Gekreuzigten. 3 Und ich war bei euch in Schwachheit und in Furcht und mit großem Zittern; 4 und mein Wort und meine Predigt geschahen nicht mit überredenden Worten der Weisheit, sondern im Erweis des Geistes und der Kraft, 5 auf dass euer Glaube nicht stehe auf Menschenweisheit, sondern auf Gottes Kraft. 6 Von Weisheit reden wir aber unter den Vollkommenen; doch nicht von einer Weisheit dieser Welt, auch nicht der Herrscher dieser Welt, die vergehen. 7 Sondern wir reden von der Weisheit Gottes, die im Geheimnis verborgen ist, die Gott vorherbestimmt hat vor aller Zeit zu unserer Herrlichkeit, 8 die keiner von den Herrschern dieser Welt erkannt hat; denn wenn sie die erkannt hätten, hätten sie den Herrn der Herrlichkeit nicht gekreuzigt. 9 Sondern wir reden, wie geschrieben steht (Jesaja 64,3): »Was kein Auge gesehen hat und kein Ohr gehört hat und in keines Menschen Herz gekommen ist, was Gott bereitet hat denen, die ihn lieben.« 10 Uns aber hat es Gott offenbart durch den Geist; denn der Geist erforscht alle Dinge, auch die Tiefen Gottes.

Liebe Gemeinde, Paulus erinnert die Korinther an die Einheit des Anfangs. Er kam, um das Geheimnis Gottes zu predigen. Eigentlich ein Widerspruch, denn Geheimnisse sind dazu da, sie zu bewahren und niemandem weiterzusagen. Im Moment, in dem sie zur Sprache kommen, verlieren sie ihren Geheimnischarakter, denn alle Zuhörenden kennen sie nun. Aber das Geheimnis Gottes, so wie Paulus es meint, ist anders gelagert als menschliche Geheimnisse.  Gottes Geheimnis ist kein Geheimwissen, wie es die anderen Religionen der damaligen Zeit kannten oder die Verschwörungstheoretiker heute. Ein Geheimwissen, dass nur die Eingeweihten erfahren. Dem Geheimnis Gottes kann man sich nicht mit hohen Worten oder menschlicher Weisheit annähern. Ganz im Gegenteil, nicht mit der Sicherheit großer rhetorischer Überzeugungskraft, sondern mit einem Gefühl der Schwäche und zitternd vor Angst ist Paulus nach Korinth gekommen, um von Gottes Geheimnis zu reden.

Aber mit genau dieser Art des Auftretens nähert er sich Gottes Geheimnis an. Denn ich hielt es für richtig, unter euch nichts zu wissen als allein Jesus Christus, ihn, den Gekreuzigten. Gottes Geheimnis liegt verborgen in dem gekreuzigten Jesus. Am unwahrscheinlichsten aller nur denkbaren Offenbarungsorte zeigt sich Gott; da, wo ein Mensch elend verreckt und die einen danebenstehen, die ihn elend verrecken lassen und die anderen, die ihn gefoltert und gekreuzigt haben, da, wo nun wirklich keiner mehr mit Gott rechnet, zeigt sich geheimnisvollerweise Gott, wie er wirklich ist.

Gottes Geheimnis liegt in seiner Schwäche: immer schon hat unser Gott eine Schwäche für solche unmöglichen Offenbarungsorte und für unmögliche Menschen, denen er sich zeigt: einen uralten Mann und eine uralte Frau macht er zu den Stammeltern seines Volkes und zu Trägerinnen seines Segens; da lacht ja selbst Sara; ein kleines, unscheinbares Volk sucht er sich aus, um es aus der Gefangenschaft Ägyptens zu befreien; das glauben die Israeliten zunächst selbst nicht und die Ägypter schon gar nicht; einen Mose, der stottert, einen Jeremia, der noch viel zu jung ist, einen Jona, der bei der ersten Gelegenheit wegrennt, macht Gott zu seinen Propheten und Sprechern; den Feigling Petrus, den eifernden Christenverfolger und mutmaßlichen Epileptiker Paulus macht er zu seinen wichtigsten Aposteln.

Gott hat eine große Schwäche: er liebt. Gott liebt diese Welt und die Menschen, vor allem die sonderbaren – Gott liebt uns mehr als sein eigenes Leben! Für diese Schwäche riskiert er alles. „Er äußert sich all seiner Gwalt, wird niedrig und gering und nimmt an eines Knechts Gestalt, der Schöpfer aller Ding“, haben wir Weihnachten vielleicht gesungen. Gott wird einer von uns, einer von den eher seltsamen Vögeln, kein König, kein großer Zampano, nicht der Erste auf der Tennis-Weltrangliste, sondern ein Kind, unter widrigen Umständen geboren und von Anfang an gefährdet. Dieser Mensch, Jesus, unmöglich in den Augen der damaligen Gesellschaft. Im stinkenden Stall ist der geboren. Der tafelt als Erwachsener mit Zöllnern, der gibt sich mit Prostituierten ab, der ist nicht fies vor Aussätzigen. Ja, Gott zeigt sich in Jesus da, wo es stinkt, wo es dreckig ist, da wo die moralische Gesellschaft die Nase rümpft oder die gleichgültigen Menschen die Augen verschließen. Und dieser Jesus landet am Ende da, wo er in den Augen der meisten Leute damals auch hingehört: am Kreuz, dem für Verräter und Sklaven reservierten grausamen Hinrichtungsmittel. Gott selbst erleidet die Gewalt der Weisheit dieser Welt. Gott selbst stirbt den Tod der Elenden.

Der Schöpfer aller Ding geht in seiner Liebe schon geheimnisvolle Wege. Da, wo der Weltweisheit nach zu urteilen, nichts mehr geht, alles aus ist, da zeigt Gott seine Ohnmacht und seine Macht zugleich. An anderer Stelle schreibt Paulus nach Korinth: Gottes Kraft ist in den Schwachen mächtig. Diese Schwäche Gottes für die draußen zeigt sich in aller Krassheit am Kreuz! Da wo alles am Ende ist, siegt Gott, siegt das Leben, siegt die Liebe. Dieses Gottesgeheimnis ist der Urknall der christlichen Verkündigung. Das Geheimnis von Gottes Kraft in der Schwäche treibt Paulus nach seiner Berufung vor Damaskus an. Er redet davon, wo und wie er kann. Dieses Geheimnis von Gottes Kraft in der Schwäche treibt auch uns an, in der Kirche mitzuarbeiten, dieses Geheimnis von Gottes Kraft in der Schwäche lässt es nicht zu, dass sich die Einen auf Kosten der Anderen profilieren, in Korinth nicht, in Gladbach-Neuss nicht. Damals nicht und heute nicht.

Gott hat eine geheimnisvolle große Schwäche: er liebt uns Menschen in all unserer Unvollkommenheit und Bruchstückhaftigkeit. Vor seinem liebenden Blick brauchen wir uns nicht zu verstecken, wenn wir auf das schauen, was uns nicht gelingt, wenn wir meinen. unsere Identität nur auf Kosten anderer bewahren zu können.

Unsere Identität liegt im sichtbaren Zeichen der Taufe auf den Namen des Gekreuzigten, gründet im Vertrauen darauf, dass Gott auch aus den Scherben unseres Lebens noch etwas Gutes schaffen kann. Der Glaube daran macht uns in aller Schwachheit mächtig und fähig, die anderen um uns herum in der Gemeinde, im Presbyterium, im KSV nicht nur auszuhalten sondern zu lieben, vor allem, wenn sie anderer Meinung sind als wir. Gottes Schwäche für die Schwachen gilt uns wie ihnen. Gottes geheimnisvolle Schwäche, die sich im Gekreuzigten zeigt, seine unwiderstehlich mächtige Liebe eint uns bei aller Verschiedenheit.

Mit Sicherheit ist es eine deutliche Überforderung, wenn wir meinen als Christinnen und Christen die Spaltungen in der Gesellschaft heilen zu können. Doch wir können eine Perspektive einbringen, die sich die Welt nicht selbst geben kann. Für die, die anders denken oder handeln, hat Gott eine mindestens so große Schwäche wie für uns selbst. Gottes Geheimnis überwindet den Tod durch das Leben, das Böse durch das Gute.

Paulus redet mit Angst und Zittern davon. Weiß er doch, dass er nichts ausrichten kann, um den Glauben der Menschen damals in Korinth und heute im Kirchenkreis Gladbach-Neuss  an dieses Liebesgeheimnis zu erzeugen. Das kann nur Gott selbst, sein Geist, der die Tiefen des Gottesgeheimnisses erforscht. Hoffen wir am Anfang und am Ende all unseres Redens und Tuns nur auf Gottes Heiligen Geist, der unserer Schwachheit aufhilft und uns eins macht.

 

Und der Friede Gottes, welcher höher ist als all unsere Vernunft bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. AMEN“