Otzenrather Glocke soll nach Polen heimkehren

  • Angela Rietdorf (Öffentlichkeitsreferat)
  • Angela Rietdorf (Öffentlichkeitsreferat)

Die Glocke „Florian“ wurde  im 2. Weltkrieg in der katholischen Gemeinde Czaniec beschlagnahmt

Die Glockenstube der evangelischen Kirche in Neu-Otzenrath ist eindeutig nicht für so viele Personen ausgelegt, wie sich an einem Montagnachmittag Ende August 2022 darin drängen. Drei Gäste aus Polen, der Kirchmeister der Gemeinde, der Glockensachverständige der Landeskirche, die Dolmetscherin und die Öffentlichkeitsreferentin des Kirchenkreises bewegen sich auf engstem Raum und teilen sich die wenigen Quadratmeter auch noch mit drei Glocken. Eine dieser Glocken steht im Mittelpunkt des Gedränges: die Glocke Florian, gegossen 1778 und seit 1952 in Otzenrath beheimatet. Der Augenschein belegt, was aufgrund der Inschriften und eines Gutachtens der Päpstlichen Universität Krakau als sehr wahrscheinlich galt – die Glocke, die früher in Alt-Otzenrath und heute in Neu-Otzenrath zum Gottesdienst ruft, gehört eigentlich in die katholische Gemeinde St. Bartholomäus der Apostel in Czaniec im Südwesten Polens.

80 Jahre nachdem die Glocke von der deutschen Besatzungsmacht beschlagnahmt und nach Hamburg ins Glockenlager gebracht wurde, um eingeschmolzen zu werden, identifizieren die beiden Pfarrer Wiesław Ostrowski und Dariusz Mależyna sowie der Wissenschaftler Piotr Kołpak die Otzenrather Glocke als die vermisste Floriansglocke. Die Inschriften lassen sich eindeutig zuordnen. Die polnischen Gäste, die eine Reise von 1100 Kilometern auf sich genommen haben, sind begeistert.  Und sehr froh, dass das Presbyterium der Gemeinde Otzenrath-Hochneukirch bereits im Vorfeld eine klare Haltung an den Tag gelegt hat: Wenn es sich um die Glocke aus Czaniec handelt, dann wird sie zurückgegeben. „Mit Bestürzung und Trauer haben wir die Schilderung der rücksichtslosen Enteignung durch die deutsche Besatzungsmacht zu Zeiten des Zweiten Weltkriegs gelesen“, hatte das Presbyterium nach der Kontaktaufnahme durch die Pfarrei Sankt Bartholomäus geantwortet. „Dieser furchtbare Krieg hat tiefe Wunden geschlagen, die noch immer nicht geheilt sind. Als Kirchengemeinde ist es uns ein Bedürfnis, alles zu tun, was zu einer Heilung beitragen kann.“

Ins Rollen gekommen war die Geschichte durch historische Recherchen von Pfarrer Dariusz Mależyna, zu diesem Zeitpunkt Vikar in Czaniec.  Der historisch interessierte Theologe beschäftigt sich mit der Geschichte der Glocken seiner Kirche und stößt auf Skizzen der beschlagnahmten Floriansglocke. Er gibt die dort angegebenen Inschriften bei Google ein und landet bei der Chronik der Gemeinde Otzenrath, in der auch die Inschriften, insbesondere der Glockengießer und das Jahr des Gusses, beschrieben werden. Ein Gutachten der Universität Krakau und die jetzige Besichtigung bestätigen die Vermutung: die Glocke, die Otzenrath 1952 als Ersatz für eine ebenfalls im Krieg beschlagnahmte Glocke erhielt, gehört eigentlich nach Czaniec. Und die Otzenrather sind bereit, sie heimkehren zu lassen. „Im Presbyterium sind wir uns einig, dass wir sie nicht behalten wollen“, sagt Marcel Mostert, der Vorsitzende des Presbyteriums. Die polnischen Gäste wiederum sind froh. „Wir sind glücklich und dankbar für die konfliktfreie Lösung und die überaus freundschaftliche Aufnahme“, sagt Pfarrer Ostrowski. Die Glocke sei ein historisches Erbe, auf das man stolz sei, bekräftigt Pfarrer Mależyna. Die polnische Gemeinde plant, einen eigenen Glockenturm für die heimkehrende Glocke zu bauen. Wann es tatsächlich so weit sein wird, dass „Florian“ wieder in Polen erklingt, hängt nun noch von Beratungen mit der Landeskirche ab. Aber es sieht ganz so aus, als würde die heimkehrende Glocke nicht nur historische Wunden heilen, sondern eine ökumenische Gemeindefreundschaft begründen. Und der EKiR-Glockensachverständige Thomas Link  kann den Otzenrathern auch Hoffnung machen: Ersatz durch eine ähnlich klingende Glocke sollte rasch zu finden sein.